Starke Mädchen weinen nicht

 

 

Ein kleines blondes Mädchen irrt ganz alleine durcheinen dunklen kalten Wald. Sie sieht ihre Eltern, ihre Mutter, doch diese hörtihr weinen nicht. Sie fühlt sich alleine und hat wahnsinnige Angst. Der Vaterist noch weiter entfernt; er zeigt kein Gefühl und ist stark. Sie muss aufhörenzu weinen, sie will so sein wie ihr Vater, der niemals weint, denn er iststark. Also hört sie auf zu weinen, denn starke Mädchen weinen nicht. Langsamlernt das kleine Mädchen ihre Gefühle zu kontrollieren, sie zu verdrängen undnicht mehr zu spüren. Es tut so gut, denn es tut nicht mehr so weh! Ihre Elternsind bei ihr, wenn sie ihr auch nicht wirklich nah sind; sie sehen die Angstihres Kindes nicht, sehen nicht wie groß ihre Angst und Einsamkeit ist. Siesind stolz auf ihr kleines Mädchen, dass so gut zurecht kommt. Doch dieErinnerung an Zuneigung und Wärme nimmt bei dem Mädchen immer mehr ab.

 

Irgendwann kann sie sich gar nicht mehr daranerinnern, ihr fehlt das Gespür für Liebe, das Gespür dafür was recht ist undwas nicht. So läuft sie weiter durch diesen kalten Wald, der immer mehr einemSumpf zu gleichen scheint. Doch sie spürt das nicht, für sie ist das ihr ganznormales Leben; auch ihre Traurigkeit und Einsamkeit kann sie nicht verstehen,sie hat doch alles. Also verdrängt sie diese Gefühle und lernt sich eine andereIdentität zu geben; nun ist sie der Sonnenschein für ihre Mitmenschen, ohne dasdiese die schweren Wolken wahrnehmen, die sich hinter der Sonne verstecken undirgendwann ihre Strahlen völlig verschlucken werden. Dann wird das Mädcheneines Tages im Wald überfallen, wird innerlich stark verletzt, doch starkeMädchen weinen nicht und so erträgt sie tagtäglich diesen Schmerz den sie fühltohne ein Wort darüber zu verlieren. Aber ihre Sonne kann nicht mehr scheinenund viele wenden sich von ihr ab.

 

Ihre Identität ist zusammengebrochen und dasMädchen fällt in ein Loch tiefster Verzweifelung, denn sie weiß nicht mehr wiesie ist. Sie verkriecht sich in sich selber und hofft, endlich sterben zukönnen. Erst als eine kleine Elfe vorbei geflogen kommt, wagt sie sich wiederan die Oberfläche, allerdings geschützt durch dicke Mauern, dieundurchdringlich scheinen, doch der Schein trügt.

 

Liebevoll und mit viel Geduld geht die kleine Elfeauf das Mädchen ein, bis schließlich alles aus ihr herausbricht. Sie ist völligerschöpft, doch der Druck auf die Seele ha nachgelassen und sie beginnt, sicheine neue Identität zu basteln. Langsam beginnt die Sonne wieder zu scheinen,sie geht wieder aufrecht, doch innerlich ist es immer noch am regen, innerlichist sie immer noch tot.

 

Weiter läuft sie durch diesen kalten sumpfigen Waldund versucht Wärme zu geben und zu empfangen. Sie zeigt sich glücklich, allesollen doch stolz auf sie sein! Im Laufe ihres Lebens ist der Wald vollergeworden; dennoch läuft sie wie isoliert durch die Gegend, niemand nimmt sie inihrem Leid wahr, jeder sieht nur ihr strahlen.

 

Mit der Zeit haben sich auch ihre Mauern wiedergefestigt und scheinen unzerstörbar. Jeder der ihr jetzt zu nahe kommt, bekommtihren Zorn zu spüren. Sie will nicht so sein, denn sie sehnt sich nach Liebe,aber sie hat zuviel Angst davor wieder so sehr verletzt zu werden, so dass siees nicht mal bemerkt wie sehr auch sie die Menschen verletzt, die es wirklichgut mit ihr meinen.

 

Als sie die kleine Elfe wieder trifft, bekommtdiese ihren ganzen Zorn zu spüren. Doch die Elfe bleibt immer an ihrer Seite,denn sie weiß, dass dieser Zorn nur durch die Angst genährt wird. Fastunerträglich wird diese permanente Nähe der Elfe für das Mädchen und sieflüchtet vor ihr, geht ihr aus dem Weg, obwohl sie die Elfe nun wahnsinnigvermisst.

 

Das kleine Mädchen schadet sich immer wieder selberohne es wirklich zu wollen; sie kann nichts dagegen tun, denn ihr fehlen dierichtigen Gefühle. Eines Tages fällt das kleine Mädchen wieder, sie hat nichtauf den Weg geachtet und stürzte in ein dunkles schwarzes Loch.

 

Wie sie da so alleine saß bekam sie Angst; Angstvor sich selber, denn sie wusste noch nicht mal wer sie war; wieder ist ihreselbst gemachte Identität zusammengebrochen, konnte sie nicht vor diesem Fallschützen; wieder hatte sie versagt. So saß sie nun dort unten ganz alleine undwusste nicht mehr was sie tun sollte.

 

Bei dem Sturz hatte sie sich ein Bein gebrochen undder Weg nach oben schien unmöglich für sie. Sie dachte nun lange Zeit über sichund das Leben nach und sie war sehr erschrocken, als sie feststellen musste,dass sie eigentlich gar nicht wirklich gelebt hatte, dass sie alles Gute undschöne von sich gestoßen hat.

 

Jetzt flossen die Tränen, sie konnte sie nichtlänger zurückhalten, es waren all die Tränen, die sie die ganzen Jahre nichtweinen konnte, weil sie sich vor sich selber versteckt hatte. Irgendwannversiegte dieser Tränenstrom und sie fühlte sich völlig leer und war überzeugtdavon ihre Seele verloren zu haben.

 

Sie hätte doch nicht weinen dürfen, denn starkeMädchen weinen nicht und werden geliebt. Nun war sie schwach und hilflos,fühlte sich wertlos, wie ein Versager und sie schämte sich für ihre Lage. Dannkam die kleine Elfe wieder zu ihr geflogen und wollte ihr helfen, doch dasMädchen konnte die Hilfe nicht annehmen, sie war zu stolz, zu verletzt undhatte zu große Angst davor wieder fallengelassen zu werden.

 

Zornig jagte sie die arme kleine Elfe wieder weg.Jetzt war das kleine Mädchen völlig am Ende und zum ersten Mal sah sie nachunten, zu dem Ende dieses Schrecklichen schwarzen Lochs. Was sie dort saherschreckte sie zunächst; dort unten hauste ein großes schauriges Ungeheuert,das hungrig darauf wartete, dass sie endlich kam, damit er sie fressen konnte.Schnell sah sie wieder weg, doch nach einiger Zeit wurde die Situationunerträglich für sie und so wollte sie alles beenden und sich dem Monsterhingeben.

 

Gerade als sie ihren letzten Halt aufgegeben hattewar die kleine Elfe wieder an ihrer Seite und zerrte sie mit allerletzter Kraftwieder heraus aus diesem stinkenden schwarzen Loch. Die Kleider des Mädchenwaren schmutzig und zerrissen, tiefe Narben hatten sich in ihre Seeleeingebrannt.

 

Inzwischen war sie auch eine junge Frau geworden.Wieder sah sie ihre Eltern; ihre Mutter sah sie an und stellte fest, dass sieschlecht aussah. Sie machte ihr Vorwürfe, sie sollte mehr essen und auf sichAcht geben. Nie hat sie die Ursachen hinterfragt, denn es konnte einfach nichtsein, dass ihr kleines Mädchen Probleme mit sich und dem Leben hatte; warumauch?

 

Schließlich hat sie immer alles gehabt was sie zumLeben brauchte. Dann ging sie zu ihrem Vater, suchte Schutz und Geborgenheit,wollte weinen und getröstet werden, doch alles was er sagte war, dass starkeMädchen nicht weinen sollen und sie sei doch ein starkes Mädchen. Wieder fühltesie sich einsam in ihrem Schmerz und konnte ihn kaum noch ertragen.

 

Immer hatte sie alles ausgehalten, das Lebenertragen, doch nun stieß sie an ihre Grenzen und dafür hasste sie sich. Siehatte keine Gefühle mehr, fühlte sich schmutzig und wertlos; alles hatte siefalsch gemacht, sie hatte im Leben versagt. Manchmal kniff oder schlug siesich, um sich für schlechtes und falsches Verhalten zu strafen, oder um sichselber wieder zu spüren; sie wollte fühlen, dass sie noch lebte.

 

In ihrer Not wandte sie sich an die kleine Elfe,die sich unsagbar freute, dass sie zu ihr kam. Zum ersten Mal spürte dasMädchen, dass sie Hilfe brauchte und sie auch bekommen konnte, sie musste esnur zulassen.

 

So ließ sie sich von der kleinen Elfe an die Handnehmen und führen: Es war ein beschwerlicher Weg mit gelegentlichen Stürzen,doch die kleine Elfe schaffte es, das Mädchen zu einer guten Fee zu bringen.Hier sollte sie wieder lernen sich selbst zu mögen und auf ihre Gefühle undBedürfnisse zu achten.

 

Es war nicht leicht für das Mädchen diesen Schrittimmer wieder zu gehen, denn die Fee war nicht immer sanft und sie schämte sichimmer noch sehr für ihre Situation, doch sie wollte es unbedingt schaffen, undso stellte sie sich der Herausforderung immer wieder. Außerdem lernte sieMenschen kennen, wenn auch nur durch eine Kristallkugel sichtbar, bei denen sieoffen sein konnte und lernte Vertrauen zu geben und anzunehmen.

 

Das Mädchen fasste den Entschluss, es irgendwanneinmal schaffen zu wollen, mit wirklichen Menschen über sich reden zu können.Sie wollte lernen ihre Gefühle zu zeigen, wollte sich selber wiederfinden undlernen sich wieder zu lieben und anderen Liebe geben zu können. Sie träumtedavon irgendwann einmal etwas von dem Sternenstaub zu finden, den sie sich sosehr wünschte.

 

Diese Hoffnung und der Gedanke an die Sterne undden wärmenden Sternestaub gab ihr etwas von der verlorenen Kraft zurück; siehatte ein Ziel: sie wollte den Sternenstaub solange suchen, bis sie ihngefunden hat.

 

So ging das Mädchen also weiterhin zu der gutenFee; doch dieser Weg brachte sie erneut an ihre Grenzen und oft verfiel sieihren alten Gedanken, wünschte sich, das Monster hätte sie doch gefressen. Siekonnte manchmal einfach nicht glauben, dass sich die Fee wirklich für sieinteressierte und es ihr nicht nur um die Kräuter ging, die sie ihr für die Hilfegeben musste. Dann verkroch sie sich wieder in ihrem Schneckenhaus und wolltenur noch sterben, dachte es nicht länger ertragen zu können.

 

Doch dann sah sie hin und wieder in ihreKristallkugel, sprach sich aus und holte sich Mut und Kraft für das Leben undden nächsten Besuch bei der Fee. Dann fragte sie die Fee einmal nach demSternenstaub und die Antwort, die sie bekam behagte ihr und sie wusste, dassdie Fee es wirklich gut mit ihr meinte, auch wenn hin und wieder Zweifelaufkamen. Die Fee sagte ihr, dass sie den Sternenstaub bereits besäße, dennjeder trägt ihn in seinem Herzen, man muss sich nur öffnen und bereit sein ihnzu sehen.

 

Zwar ist das Mädchen etwas gealtert und die Narbensind noch nicht verheilt, dennoch schafft sie es auch heute noch weiterhin zuder Fee zu gehen und sie wünscht sich von

ganzem Herzen, dass sie es schaffen wird die Hilfeanzunehmen und ihr Leben wieder Leben zu können, wieder sie selbst sein zukönnen; aber vor allem wünscht sie sich, den Sternenstaub in ihrem Herzen zusehen.

 

Inzwischen hat sie auch gelernt, dass starkeMädchen weinen dürfen und müssen, denn Schwächen zeigen heißt auch stark zusein. Und schließlich hat sie ja auch noch die kleine Elfe zum Freund, an diesie nun immer mit aufrichtiger Wärme denkt. Der erste Schritt des Mädchens istgetan, hoffen wir, dass sie auch den Rest des Weges erfolgreich begehen kann.

 

 

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